In vielen deutschen Finanzabteilungen stockt die Digitalisierung. Warum das so ist und welche Vorteile automatisierte Finanzprozesse bringen, erläutert Thomas Ulbrich, Vertriebsleiter DACH im Interview.
Frage: In einer Umfrage des Handelsblatts unter CFOs[1] gaben 86 Prozent der befragten Finanzentscheider an, die Digitalisierung als große Chance für sich und den Finanzbereich zu sehen. Doch nur 48 Prozent hatten bereits einen groben Plan zur Nutzung digitaler Technologien. Spiegeln diese Zahlen Ihre Erfahrungen wider?
Thomas Ulbrich: Wir können diese Zahlen aus unserer Erfahrung im Wesentlichen bestätigen. Ob alle CFOs die Digitalisierung als Chance betrachten, sei dahingestellt. Der Begriff „unvermeidliche Notwendigkeit“ trifft es eher. Viele Finanzverantwortliche haben verstanden, dass ihre Prozesse ohne Toolunterstützung nicht mehr abbildbar sind und sie die steigenden Anforderungen hinsichtlich des Zeitrahmens und der Qualität mit den bisherigen Methoden nicht erfüllen können. Wir bemerken aber auch eine große Unsicherheit hinsichtlich der technologischen Möglichkeiten. Der Markt hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und vielen Finanzverantwortlichen sind die Vorteile der unterschiedlichen technologischen Lösungen nicht klar. Die Anstöße kommen dabei zunehmend aus den Fachabteilungen, die sehen, dass sie mit den bisherigen Methoden an ihre Grenzen stoßen. Die CFOs sind oftmals weit weg vom Tagesgeschäft und den detaillierten Prozessen. Es sind eher die Head of Finance, die sich bewusst sind, was sie durch automatisierte Prozesse einsparen können.
Frage: Worin liegen die aktuellen Herausforderungen in den Finanzabteilungen?
Thomas Ulbrich: Hauptsächlich liegen die Herausforderungen in der Geschwindigkeit, in der Finanzabteilungen ihre Ergebnisse liefern müssen. Die Zeitspannen werden immer kürzer, gleichzeitig sollen die Ergebnisse so transparent und so genau wie möglich sein. Wir beobachten, dass diese Herausforderungen, das heißt die Prozesse von heute und morgen, mit den bewährten Mitteln und Methoden von gestern bearbeitet werden. Wir reden hier von einer Vielzahl von manuellen Prozessen und analogen Tools, die bei einer gestiegenen Anzahl von Mitarbeitern und Prozessen, beispielsweise durch die Auslagerung von Aufgaben an ein Shared Service Center, nicht mitskalieren. Auch Intercompany-Abstimmungsprozesse werden dadurch immer komplexer und langwieriger.
Frage: Was steht der Nutzung digitaler Technologien im Weg, wo sehen Sie Hindernisse in den Finanzabteilungen?
Thomas Ulbrich: In vielen Finanzabteilungen fehlt das Verständnis über den Prozess als Ganzes. Beispielsweise wird der Einfluss von Intercompany-Prozessen auf den Monatsabschluss häufig nicht beachtet. Anstatt sich den kompletten Monatsabschluss-Prozess anzuschauen, versuchen viele zunächst, nur die Intercompany-Abstimmung zu beschleunigen.
Hemmungen hinsichtlich Cloud-Lösungen sind ebenfalls ein Thema. Mit einer On-Premise-Lösung können Sie als global agierendes Unternehmen diese Prozesse nur schwer vereinheitlichen. Cloud-Lösungen lassen sich dagegen leicht skalieren und international einsetzen. Hinzu kommt, dass in den Teams häufig die Offenheit für Veränderungen und die Bereitschaft fehlt, das Problem an der Wurzel anzugehen und dabei auch neues Terrain zu betreten. Ein Beispiel aus der Praxis: In einem global agierenden Unternehmen haben sich die Finanzfachleute ein on-premise Tool besorgt, mit dem sie Excel-Sheets in ihr ERP-System hochladen können. Das ist alter Wein in neuen Schläuchen und packt das Problem nicht an der Wurzel. Oftmals ist es einfach eine gewisse Unsicherheit gegenüber den verfügbaren Technologien, da der technologische Wandel sich in immer kürzeren Zeitabständen vollzieht. Wir sehen häufig einen gewissen Aha-Effekt, wenn Prozessverantwortliche sich auf den Fachmessen über IT-Lösungen informieren und sie die Zusammenhänge und Vorteile so klar vor Augen haben.
Frage: Was sind denn die wichtigsten Vorteile der Finanzautomatisierung für die CFOs und ihre Mitarbeiter?
Thomas Ulbrich: Die Hackett Group hat in ihrer aktuellen Account-to-Report-Performance-Studie Kennzahlen identifiziert, die Unternehmen mit Record to Report (R2R) Automatisierungslösung von Unternehmen ohne eine solche Lösung unterscheiden. Wichtige Erkenntnisse sind beispielsweise, dass sich der Monatsabschluss mit einer R2R-Lösung vier Tage schneller abschließen lässt und sich insgesamt die Account-to-Report-Kosten um bis zu 55 Prozent reduzieren. Auch die Erfolgsquote ist bedeutsam: bis zu 95 Prozent aller Journalbuchungen lassen sich automatisieren, die restlichen 5 Prozent sind abhängig von Datenqualität und Quellformaten. Hinzukommt, dass der Prozess sofort transparent ist. Daraus ergeben sich Kosteneinsparungen von bis zu 50 Prozent bei externen Wirtschaftsprüfungen. Unternehmen können also mit einer R2R-Automatisierungslösung schnellere Finanzabschlüsse mit einer höheren Qualität, besseren Transparenz und zu niedrigeren Kosten erstellen.
Frage: Können Sie ein konkretes Beispiel aus der Praxis nennen?
Thomas Ulbrich: Ein gutes Beispiel ist Sanofi. Aufgrund des starken Wachstums, auch bedingt durch Zukäufe, hatte der Pharmakonzern viele verschiedene ERP-Systeme, Quellsysteme, Prozesse und Dokumente im Einsatz, die nicht harmonisierten. Die Finanzprozesse liefen komplett manuell über Excel-Dokumente und Abstimmungen via E-Mail und Telefon ab und waren deshalb nicht transparent. Sanofi rollte dann in 95 verschiedenen Ländern parallel zur S/4HANA Migration Land für Land die R2R-Automatisierungslösung Cadency by Trintech aus. Der Konzern hat nun eine zentralisierte Lösung, die alle End-to-End-Prozesse abdeckt. Durch die Automatisierung eliminierte Sanofi manuelle Prozesse, steigerte die Produktivität von 2.300 Nutzern und verbesserte die Compliance für mehr als 2.500 Konten. Das Management hat nun einen Echtzeit-Einblick in den Stand des Abschlusses und einen klaren Überblick über alle Validierungsprozesse zu Kontenabstimmungen und Journalbuchungen. Ein Mammutprojekt, das die tägliche Arbeit unternehmensweit erleichtert und Sanofi’s Finanzabschluss auf ein Weltklasse-Niveau hebt.
Frage: Knapp 70 Prozent der vom Handelsblatt befragten CFOs glauben, dass sich die Fähigkeiten und Talente in ihrer Workforce wesentlich verändern müssen, damit sie den veränderten Anforderungen des Finanzbereichs bis 2030 Rechnung tragen. Welche Fähigkeiten sind Ihrer Meinung nach gefragt?
Thomas Ulbrich: Die Arbeitswelten verändern sich, sie werden digitaler, globaler. Beispielsweise rücken global verteilte Finanzbüros näher zusammen, weil sie dieselben Dokumente bearbeiten oder globale Cloud-Lösungen nutzen. Auch die Integration internationaler Shared Service Center ist immer mehr ein Thema. Enge Abstimmungen über Kontinente hinweg sind daher Teil der täglichen Arbeit. Das heißt Soft Skills wie Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit und die Beherrschung von Fremdsprachen werden immer wichtiger. Hinzukommt, eine gewisse Offenheit für neue Technologien, beispielsweise RPA, Bot-Technologien, KI oder Machine Learning, die in den nächsten Jahren mehr Relevanz bekommen werden. Die Mitarbeiter müssen ja nicht gleich zum IT-Experten werden, aber eine gewisse Offenheit, diese Technologien zu nutzen und sich anzupassen, wird in den nächsten Jahren entscheidend sein. Wichtig ist aber auch, die Ängste und Vorbehalte der Mitarbeiter, die gegenüber digitalen Technologien häufig bestehen, ernst zu nehmen und sie auf den anstehenden Wandel vorzubereiten.
[1] Die Prioritäten des CFO, Umfrage unter Finanzentscheidern im Frühjahr 2018, Handelsblatt.